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Lisa Reiter

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Anekdoten aus dem Leben einer Studentin

Thoughts in Trieste

Unruhig wälze ich mich in meinem Bett. Meine Hand ertastet sich vorwärts, sucht und findet. Das Handy, welches an der letzten Ecke des Nachttisches liegt, nahe der Kante und droht, herunterzufallen. Bevor es soweit kommt, schnappe ich es mir und werfe einen Blick darauf. Das Ladekabel löst sich automatisch, während das gedämpfte Handylicht erstrahlt und mir erbarmungslos die Uhrzeit verrät: 05:15 Uhr morgens. 

Ich neige meinen Blick nach links. Seelenruhig schlummert meine Mutter im Bett nebenan. Ich kann nicht mehr schlafen. Ich drehe mich noch einmal nach rechts, dann wieder nach links und kneife meine Augen fest zusammen. Eine viel zu frühe Zeit, um aufzustehen, aber ich finde nicht den Weg zurück ins heiß ersehnte Land der Träume. Eigentlich bin ich noch müde, richtig schläfrig. Ich gähne, aber ich schaffe es nicht, wieder einzuschlafen. Die erste Nacht in einem fremden Bett – jedes Mal aufs Neue eine Umstellung.

 

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„It’s pretty early for getting up, isn’t it.“

The last minutes of darkness

Ich weiß, dass ich nicht mehr dazu in der Lage bin, noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Ich weiß auch, dass meine Mutter wenig begeistert davon sein wird, sie jetzt zu wecken, nur um mich vor einem Langeweiletief zu bewahren. Leise, fast schleichend stehe ich auf, suche meine Sachen zusammen und ziehe mich hastig, aber mucksmäuschenstill an. Ich schnappe mir meine Tasche, meinen Trenchcoat und meine Kamera. Draußen ist es immer noch dunkel, aber nicht mehr nachtdunkel, sondern dämmerdunkel. Ein neuer Morgen kündigt sich an. 

Gedankenverloren schleife ich meinen müden Körper zum Lift. Wie benommen drücke ich auf die „0“-Taste. Ächzend lehne ich mich an das kalte Glas des Liftes und fahre ruckartig nach unten. In der Hotellobby steht der Rezeptzionist. Vertieft in seinem Computer. Man sieht ihm an, dass er keine Lust hat, die Nachtschicht zu schieben, doch er lächelt freundlich, als ich aus dem Lift steige. „Good Morning! It’s pretty early for getting up, isn’t it?“, krächzt er mir mit müder Stimme entgegen, unter die sich sein italienischer Akzent mischt. Ich zwinge mich ebenfalls zu einem Lächeln und suche nach einer Antwort, warum ich so früh wach bin. „Yeah, I know. But I’d like to take some pictures of the sunrise at the harbor“, entgegne ich knapp. Viel zu früh, um Englisch zu reden. Ob das grammatikalisch richtig war, weiß ich nicht. Er scheint mich jedoch verstanden zu haben. Jedenfalls nickt er hastig. Vielleicht will er mich auch nur loswerden und weiter im Internet surfen.

 

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Kaffee? Kaffee? Kaaaaaffeeeeee!!!!

In Eiseskälte vor verschlossenen Türen

Es ist immer noch dunkel, als ich das Haus verlasse. Plötzlich ist von dem, was gestern Nacht auf der Straße los war, nichts mehr übrig. Kein buntes Treiben mehr. Stattdessen Einsamkeit, aber keine richtige Stille. Man hört ein paar Autos und den Wind, der mir ins Gesicht peitscht. Ich ringe mich dazu durch, Luft zu holen. Das Atmen fällt mir schwer. War es gestern noch so drückend heiß, richtig schwül, ist es auf einmal bitterkalt. Zu kalt für meine Lungenfunktionen. Da ich aber nur mit Sauerstoff überleben kann, überwinde ich mich und ziehe die eisige Luft scharf ein. Die Kälte schmerzt in meinem Rachen und ich zittere, während ich die ersten Schritte gehe. Nach ein paar Metern drehe ich mich um und werfe einen Blick zum Hotel. Es ist so frisch draußen. Halte ich das überhaupt durch? Es wäre besser, wenn ich kehrt machen und zurück gehen würde. Ins warme Drinnen. Wenn ich jetzt weitergehen würde, würde ich es spätestens in fünf Minuten bereuen. Ich schließe die Augen und denke nach. Nein, ich gehe weiter. Ich kann es nicht ertragen, gelangweilt auf meinem Bett zu sitzen, während meine Mutter noch schläft. Ich hasse diese Warterei ohne Beschäftigung und ich bin mir sicher, dass der Schlaf meiner Mutter noch mindestens eine Stunde dauern würde. Ich gehe weiter. 

Ich bin hier in Italien. Irgendwo bekommt man immer einen Kaffee. Den brauche ich jetzt dringender den je. Nicht nur wegen meiner heruntergeschraubten Energie, sondern auch wegen der Kälte. Nichts, nada, niente hat offen. Ich stehe vor verschlossenen Türen. Mein Blick taxiert jedes Öffnungsschild, doch stets wird mir schriftlich mitgeteilt, dass sonntags erst ab 07:30 Uhr Kaffee verfügbar ist. Erbarmungslos. Ich schaue auf die Uhr. Es wird erst 6 Uhr. Gemein! Ein betrunkenes Pärchen kreuzt meinem Weg. Sie bleiben stehen, schauen mich an und brabbeln irgendetwas auf Italienisch. Ich seufze. „Lo so, il bar é chiuso“, werfe ich zurück und gehe weiter. Wo soll ich nur hin? Mir fällt ein: das Herzstück Triests habe ich noch gar nicht besucht – den Hafen!

 

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Trieste in the morning

Ein ganz besonderer Sonnenaufgang

Es beginnt immer mehr zu dämmern. Der Wind wird stärker, je näher ich an den Hafen komme. Das Meer tost. Salzige Luft strömt mir entgegen, sodass ich plötzlich nur noch Salz schmecke. Die Wellen brechen sich an den Brandungen und ich versuche angestrengt, mich von den starken Windstößen nicht forttragen zu lassen. Meine Hände sind wie Eiszapfen. So eisig waren sie das letzte Mal im Winter. Mir ist bitterkalt. Bibbernd suche ich nach meinem Handy, stecke die Ohrstöpsel in meine Ohren und mache Musik an – Italienische Musik. „Non farmi aspettare – Lass mich nicht warten.“ – Das denke ich mir auch gerade. Ich lausche der Musik, versuche die italienischen Wörter und Phrasen zu verstehen, doch im Endeffekt kann ich nur einzelne Wörter herauskristallisieren. Angestrengt bemühe ich mich, daraus Sätze zu formen. Ich verinnerliche mich. Was könnte das nur heißen? Ich habe wirklich viel verlernt. Sechs Jahre Italienisch unter dem Drill meiner strengen, aber herzlichen Lehrerin waren für die Fische.

Ich packe meine Kamera aus. So langsam kann ich damit beginnen, zu fotografieren. Das Licht ist ausreichend, um bereits das eine oder andere schöne Foto zu schießen. Einige Fischersleute tummeln sich bereits am Hafen. Sie starren mich an, so als wäre ich eine Aussätzige. Womöglich halten sie mich für eine Spinnerin. Ein junges Mädchen mit langen, blonden Haaren im Trenchcoat steht bibbernd am Ende des Stegs und versucht in aller Herrgottsfrühe Fotos zu machen. Aber so kalt es auch ist, ich fange an, diese Momente zu genießen. Plötzlich liebe ich diese Einsamkeit, denn ich habe Zeit, nachzudenken. Eine Träne bahnt sich entlang meine Wangen. Nicht, weil ich traurig bin, sondern weil mein Körper auf den Wind reagiert, der immer stärker wird. Trotzdem – der Moment wird magisch. 

 

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Moments of loneliness

Die letzten Minuten alleine

So langsam halte ich die „Polarluft“ am Hafen nicht mehr aus. Ich beschließe, zurückzugehen. Es ist zwar immer noch früh, aber schon hell. Die Sonne will sich noch nicht so richtig zeigen. Ich werde ungeduldig und bin gar nicht mehr darauf fokussiert, den perfekten Sonnenaufgangschnappschuss einzusammeln. Stattdessen gehe ich erneut in mich, während ich gen Richtung Hauptplatz schlendere. Ich versuche, meinen Sommer und die Ferien Revue passieren zu lassen. Was ist nur alles passiert? Habe ich den Sommer so ausgekostet, wie ich das wollte und vorhatte? 

Mein Sommer begann mit einer Enttäuschung. Einer bitteren Enttäuschung, die mir schwer zugesetzt hat. An der ich lange zu knabbern hatte. Die gepaart war mit einer riesengroßen Angst, etwas zu verlieren, was ich nicht verlieren wollte. Eine Freundschaft stand auf der Kippe. Ich habe keine Ahnung, ob mein Gegenüber derselben Meinung war, doch ich fragte mich, ob ich unter diesen Umständen diese Freundschaft noch aufrecht erhalten könnte. Gesagt habe ich nie etwas. Ich habe darüber kein Sterbenswörtchen verloren. Habe geschwiegen. Ob das so gut war, kann ich im Nachhinein nicht beantworten, aber ich habe es geschafft, dieses Ereignis hinter mir zu lassen. Es hat sich alles zu dem gewendet, was es einmal war. Es ist wie früher – fast. Ich habe all die Enttäuschung zwar nicht vergessen, aber ich habe sie ad acta gelegt. Weil ich nichts verlieren will, was mir wichtig ist. Dafür habe ich gekämpft. Nicht aktiv, sondern passiv. 

Ich ziehe mein Handy aus meiner Tasche. Soll ich eine Nachricht schicken? Eventuell noch einmal das aufgreifen, was war. Was ich nicht angesprochen habe. Worüber ich geschwiegen habe. Jetzt, wo ich damit abgeschlossen habe, wäre es nicht mehr so schwer, ehrlich zu sein. Zu sagen, was man sich gedacht hat, was man gefühlt hat, als diese Wendung in meinem Leben oder besser gesagt in unserem Leben passierte, aber ich beschließe, es bleiben zu lassen. Wahrscheinlich würde das wieder viel mehr zerstören, als ich möchte. Dabei wollte ich darüber sprechen. Ich wollte es gar nicht so nach hinten schieben, aber Gelegenheiten, es zu tun, haben sich nie ergeben. Nicht weil ich mich nicht getraut habe. All das hat andere Gründe. Gründe, über die ich nicht mehr nachdenken möchte. 

Hastig stecke ich mein Handy zurück in die Manteltasche meines Trenchcoats. Die Musik läuft weiter, doch mittlerweile ist sie wieder zu meiner Standardplaylist voller Ed Sheeran Songs übergegangen. Ich streife noch durch die leeren Seitengassen. So langsam kommt wieder Leben in die Altstadt, auch wenn es nur die Stadtreinigung ist. Wehmütig spaziere ich zurück ins Hotel und versuche dabei, noch einige Momente fotografisch einzufangen. Die Zeit in Triest war kurz, aber sie war schön. Im Hotel ist meine Mutter bereits aus ihrem langen Dornröschenschlaf erwacht. Auch andere Mitglieder unserer Reisegruppe haben sich bereits in den Frühstücksraum begeben. Alle fragen mich, wo ich gewesen sei. „Ich habe nur den Sonnenaufgang am Hafen fotografiert“, murmle ich leise, schnappe mir einen Teller und lasse meine Gedanken kurz zu den Momenten am Hafen schweifen. Das, was ich gesagt habe, stimmt nur so halb. Habe ich ein gutes Foto vom Sonnenaufgang? Wahrscheinlich nicht. Aber ich habe neue Momente gesammelt und diese gehören nur mir. Mir ganz alleine. 

 

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Comments

  • 17. Oktober 2015

    Unglaublich toll geschrieben. Ich finde es toll, auch mal solche Posts zu entdecken. Ich versuche auch oft mich schon in den frühen Morgenstunden aufzuquälen um genau solche Momente einzufangen. Ruhe.
    Der Anfang deines Sommers kommt mir ziemlich bekannt vor, auch wenn es bei mir um eine Beziehung ging. Aber ich freue mich für dich, dass ihr euch wieder versteht. Und all die Gedanken loszuwerden, schreib sie einfach auf, wenn du noch nicht soweit bist, dass du mit demjenigen darüber sprichst. Aber das wird alles wieder 🙂

    Alles Liebe, Jacky
    vapausblog.wordpress.com

  • 17. Oktober 2015

    Ja hey super cooles neues Design hast du 🙂 Bin begeistert !!
    Du hörst italienische Musik? Hast du dort Wurzeln oder wie kommts dazu ? 🙂

    Ganz liebe Grüße, Vivi
    vanillaholica.com 

  • 17. Oktober 2015

    What an amazing place! great photos, I will hopefully visit it soon 🙂

    Tamara xxx

  • 17. Oktober 2015

    Was für ein wunderschöner Text. In der heutigen Zeit haben wir meist viel zu wenig dieser einsamen Momente, wo wir über die Dinge nachdenken, welche uns bewegen. Davon bräuchten wir wahrscheinlich viel mehr…
    Deine Bilder sind aber auch traumhaft schön geworden!

    Liebe Grüße Kristina von KDSecret

  • 18. Oktober 2015

    Ein sehr schön geschriebener Text, bei dem man glaubt, direkt dabei gewesen zu sein 🙂
    Nach Triest möchte ich auch unbedingt bald wieder. Das ist so ein hübsches Städtchen!
    Liebe Grüße,
    Kathi

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