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Lisa Reiter

  /  Personal   /  Anorexia Recovery   /  Weihnachten mit Anorexia Nervosa

 

Weihnachten – die schönste Zeit im Jahr. Überall duftet es herrlich nach Zimt, Vanille und Lebkuchen. Glühweintrinken am Weihnachtsmarkt wird zum absoluten MUSS! Es ist die Zeit der Leckereien und Kalorienbomben. Die Zeit, in der auch mal mehr geschlemmt werden darf. Ganz ohne Gewissensbisse. Doch wenn man unter einer Essstörung leidet, kann man diese zu der Advents- und Weihnachtszeit genauso wenig abstellen, wie unter dem Jahr. Die Krankheit existiert weiterhin und wird bei dem Überangebot an Lebkuchen, Spekulatius und Zimtsternen in der Weihnachtszeit zum absoluten Horror.

 

Weihnachten – die schlimmste Zeit im Jahr

Über Anorexie in der Adventszeit

Weihnachten ist nicht für jeden Menschen eine schöne, besinnliche Zeit. Mal abgesehen von dem ganzen Stress, müssen viele Menschen ihr Weihnachtsfest alleine verbringen oder/und haben kein Dach über dem Kopf, geschweige denn zu essen. Da scheint es mir fast so, als wäre Magersucht oder eine andere Form der Essstörung in der Adventszeit ein Luxusproblem. Aber da ich kein richtiges Problem als Luxus abstemple, schon gar nicht eine Krankheit, auch wenn man selbst dafür mitverantwortlich ist, möchte ich dieses negative Label von Luxusproblem sofort aus diesem Post verbannen. Für mich war es damals ein richtiges Problem. Insgesamt habe ich vier Weihnachtszeiten mit Anorexie hinter mir. Zuletzt im vorigen Jahr. Und es war eine Katastrophe, wobei ich mich im letzten Jahr zum ersten Mal richtig bemüht habe, die Zeit doch zu genießen. Erstmalig in meiner Krankheitsgeschichte. Und gerade das war eine Bestandsprobe, gespickt mit unzähligen Momenten des schlechten Gewissens.

Wir alle wissen, dass es ein schwerer Kampf ist, eine Essstörung auszustehen. Man muss es selbst nicht einmal miterlebt haben, um es zu wissen. Wobei Nichtbetroffene immer ein anderes Bild vor Augen haben und einige meinen, dass man einfach wieder zu essen anfangen müsste. Typisches Label der Anorexie oder einer anderen Essstörung. Da es aber nicht so leicht ist, mit seiner psychischen Krankheit einfach aufzuhören, muss man sich auch der Herausforderung der Weihnachtszeit stellen. Was die Weihnachtszeit für mich so schwierig gemacht hat, war die permanente Konfrontation mit dem Essen. Mit ungesundem Essen. Und diese Konfrontation war so ein negativer Verstärker in meinem durcheinandergewirbelten neurologischen System, sodass ich richtige Angstzustände ausgestanden habe. Mein erstes „anorektisches“ Weihnachtsfest war halbwegs erträglich. Ich machte zu der Zeit viel Sport. Doch die anderen, die, in denen ich zu schwach war, um Sport zu betreiben, waren schlimmer denn je.

 

Gefahrenzeit Weihnachten

Die Weihnachtszeit war für mich insbesondere deswegen eine Gefahrenzeit, weil ich nicht unter dem restriktiven Typus einer Anorexie litt (näheres zu den Subtypen findest du hier), sondern dass ich durchaus auch Zeiten mit Essattacken hatte. Und gerade in der Weihnachtszeit war ich anfällig dafür. Ich glaube, es liegt nicht nur daran, dass zu dieser Zeit kalte Temperaturen herrschen, sondern eher an diesem bereits erwähnten Überangebot an Kalorienbomben. Diese Kalorienbomben waren meistens der Auslösefaktor, dass alles außer Kontrolle geraten ist. Ich habe zwar oft diszipliniert versucht, mein restriktives Programm auch in der Weihnachtszeit durchzuziehen, aber sobald meine Geschmacksknospen mit Zucker in Kontakt gekommen sind, war es aus. Und diese Gefahren lauern in der Weihnachtszeit überall. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich würde vor dem Essen flüchten. Sagte Treffen am Weihnachtsmarkt ab, weil ich keinen Glühwein trinken wollte. Sogar der übertrieben gesüßte Tee am Weihnachtsmarkt machte mich wahnsinnig.

Letztes Jahr sagte ich diese Glühweintreffen nicht mehr ab. Ich war oft am Weihnachtsmarkt, aber gleichzeitig fühlte ich mich auch vollkommen außer Kontrolle. Diese verdammten 300 g, die ich im letzten Jahr im Dezember zugenommen hatte, machten mich wahnsinnig. Dabei waren es nur 300 g  – dafür aber viel Gejammer und der Beschluss, dass Glühwein ab sofort tabu für mich sei. Überreden ließ ich mich dann meistens doch immer, weil ich mir einredete, dass diese 300 g eh nur Wasser sind. War es wahrscheinlich auch. Trotzdem – die Waage wurde zu dieser Zeit noch mehr eingesetzt, als sonst. Ich war besessen davon, Buch zu führen, um den Grund für meine „starke Gewichtszunahme“ zu finden. Und immer wieder diese Angst, noch mehr zuzunehmen, die Kontrolle zu verlieren und nicht mehr diszipliniert zu sein. KATASTROPHE!

 

…und dann ist da noch das Weihnachtsfest mit der Familie

Ich kann mich noch daran erinnern, wie viele Diskussionen wir am Weihnachtsabend hatten. Natürlich wollte ich auch an Heilig Abend mein eisernes Programm durchziehen. Nichts essen oder nur meine „erlaubten Nahrungsmittel“. Safe Food ist bekanntlich wenig weihnachtlich. Man versucht sich auch am Weihnachtsabend zu kasteien und das führt oftmals dazu, dass man seine Familie an diesem besinnlichen Familienfest verletzt. Ich finde, keine Familie hat es verdient, dass man auch an Heilig Abend seine Krankheit in den Fokus stellt. Gerade zu dieser Zeit sollten Sorgen einmal beiseite geschoben werden – sofern man die Möglichkeit dazu hat. Und ich habe diese Möglichkeit. Ich habe diese Möglichkeit, dieses Fest mit einer wunderbaren Familie zu feiern. Ich habe ein Dach über den Kopf und zu essen. Dafür sollte man dankbar sein. Zumindest seiner Familie zuliebe. Auch wenn es für einem selbst eine Überwindung bedeutet.

Meine „anorektischen“ Weihnachtsabende haben immer in einer Essattacke geendet. Meistens dann, wenn schon alle im Bett waren. Und für mich war das natürlich nicht schön. Mir kommen jetzt sogar noch die Tränen, wenn ich daran denke. Aber dennoch wusste ich, dass ich zumindest meiner Familie kurzfristig die Sorgen nehmen konnte. Genau in dem Moment, als ich bei ihnen am Tisch saß und genauso gegessen habe, wie sie. Ich glaube, für meine Mama war das zu dieser Zeit immer das Schönste an Weihnachten, auch wenn es für mich der Horror war. Ich wusste, wie das „normale Essen“ enden würde. Aber ich habe es immer in Kauf genommen. Weil ich niemanden traurig machen wollte.

 

Die Weihnachtszeit 2016

Ein Jahr ist mein letztes Weihnachtsfest mit Anorexie nun her. Heuer habe ich diese Problem nicht mehr. Zumindest ist es aktuell verdrängt. Aber ich versuche die Weihnachtszeit heuer extrem zu genießen, das nachzuholen, was ich verpasst habe. Auch wenn das bedeutet, dass meine aktuelle Ernährung creepy ist (der Grund, warum ich aktuell auf weitere Ernährungsupdates verzichte). Aber hey, ich habe im letzten Jahr so viel verpasst und außerdem schreibe ich gerade meine Diplomarbeit und lerne noch für meine letzte Prüfung. Da habe ich mir die Weihnachtskekse wohl verdient! 

 

Comments

  • 11. Dezember 2016

    Toll geschrieben. Sehr spannend, was Du berichtest. Mutiges und schwieriges Thema weiterhin!

    Neri

  • 11. Dezember 2016

    wow ein hammer berührender und offen post – ich bewundere dich sehr, dass du so offen mit deiner geschichte umgehst – ich wünsche dir alle kraft der welt das du es weiterhin so toll meisterst und wundeschöne weihnachten und eine schöne vorweihnachtszeit meine liebe 🙂
    glg katy

    LAKATYFOX

  • 11. Dezember 2016

    Liebe Lisa! Danke das du uns so persönliche Einblicke mit diesem Blogpost gewährst. Ich finde das sonunglaublich toll woe offen du darüber redest. Ich denke du kannst dadurch vielen Betroffenen auch wieder etwas Mut machen, diese Krankheit zu bekämpfen! Liebste Grüße Denise http://www.neumodisch.com

  • 13. Dezember 2016

    Liebe Lisa,
    ein unglaublich, unglaublich toller Post, der mir aus der Seele spricht! Genieß all das, was du verpasst hast jetzt in vollen Zügen! Du kannst unglaublich stolz auf dich sein! Lass dich nicht mehr klein kriegen! Und zum gesund werden gehören auch „creepy“ Wege. Das normalisiert sich alles wieder! Darauf muss man vertrauen! Du tust das einzig richtige!
    Fühl dich gedrückt!!
    Anne
    https://trustyourgut1.blogspot.de/

  • 13. Dezember 2016

    wow toller Beitrag, finde es bewundernswert wie offen du darüber schreibst. ich denke du gibt damit sicher vielen betroffenen kraft und mut. alles liebe!

  • Patty
    14. Dezember 2016

    Was ein tolles Bild. Ich liebe auch die Weihnachtszeit und bin so gerne auf Weihnachtsmärkten 🙂

    Liebe Grüße

  • 14. Dezember 2016

    Achja – Kalorienbomben in der Weihnachtszeit… das war mir letztes Jahr auch ein Graus. Sowieso war das wohl einer der schlimmsten Phasen meines Lebens und jegliche Feierlichkeit war ein Problem für mich – weil eben Essen auf dem Plan stand und das nicht zu wenig. Da habe ich wie auch du in deinem ersten Jahr versucht, mit Sport gegenzuhalten – teilweise bin ich 4 Mal wöchentlich 10km gejoggt.
    Vier Weihnachtszeiten so zu durchleben, ist sicher echt doof… du Arme!

    Was du über die Familie schreibst, hat mich auch beschäftigt, weswegen ich mich sogar zu Torte bei meiner Oma überwunden habe. Allerdings hatte ich da Glück – in meiner Familie gibt es nicht drei große Festessen an den drei Tagen, sondern meist nur ein Mittagessen mit Pommes und eine schönen Fleischstück (gibt es bei uns nur selten) und eben besagtes Torte essen bei meiner Oma. Daher musste ich mich nicht so oft überwinden…
    Daher hast du umso mehr meinen Respekt dafür, deine Familie über deine Krankheit gestellt zu haben!!

    Liebe Grüße und viel Spaß mit den Weihnachtskeksen!!

  • 18. Dezember 2016

    Ohje, ich kann mir vorstellen dass diese Zeit zu einer wahren Bestandsprobe wird. Das wird sie für mich auch jedes Jahr, allerdings nicht wegen dem Essen. Ich habe da sehr schlimme Erinnerungen an meine Kindheit und offen gesagt, ich bräuchte gar kein Weihnachten 🙂 Dieses Jahr flüchte ich zum ersten Mal ins Ausland 🙂

  • 4. Januar 2017

    Ein wirklich berührender und offener Post. <3
    Ich hatte selbst lange mit Bulimie zu kämpfen und das macht einen ziemlich fertig.
    Da ist ein Keks schon zu viel. Aber ich finde es unglaublich schön, dass du deine Geschichte mit uns teilst. Wir sind stark, wir schaffen alles.

    Fühl dich gedrückt. <3
    Wishes, Kat

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