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Lisa Reiter

  /  Personal   /  Personal Stories & Texts   /  Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt

Schon lange nicht mehr hatte ich dieses Gefühl. Als mein Blick auf den nachtschwarzen, mit Sternen behangenen Himmel fällt, meine Augen den hellleuchtenden Mond taxieren, versuche ich mir ins Bewusstsein zu rufen, was ich gerade fühle. Je mehr ich mich anstrenge, je genauer ich meine Gedanken zu sortieren versuche, akribisch in die Tätigkeiten meines Präfrontalcortex‘ einzugreifen versuche, umso mehr wird mir bewusst, dass ich es nicht beschreiben kann. Es ist keine Leere in mir, obwohl ich mich manchmal leer fühle, aber es ist eine Ungewissheit da. Ich merke zunehmend, wie mein Leben gerade dabei ist, sich zu verändern. Vor mir liegen die letzten Schritte einer großen Hürde. Ich schaue nicht zurück. Vergesse die Steine, die mir in den Weg gelegt wurden. Die Hindernisse, die ich überwinden musste, nur um jetzt da zu stehen, wo ich gerade bin. Doch die Wahrheit ist: Manchmal möchte ich gerne zurück. Wieder in der Vergangenheit leben. Weil ich weiß, wie das war. Weil es mich nicht ins Ungewisse blicken lässt. Dabei fällt mir ein Zitat von Albert Einstein ein, welches ich wehmütig schmunzelnd und mit einem seufzenden Schulterzucken unter den Klängen von Bachs „Cello Suite Nr.1“: „Preludé“ in meinen nicht vorhandenen Bart murmle:

 

Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.

Albert Einstein

 

Er hat Recht. Er hat so Recht. Auch wenn er Physiker war und mich mit seiner Relativitätstheorie in den Wahnsinn trieb, Einstein haute philosophentaugliche Sprüche raus, die Gelehrten wie Konfuzius alle Ehre machen. Behaupte ich, denn dieses Zitat bleibt hängen. Es hat die Informationsübertragung in meinem Kopf passiert und sich in mein Gehirn eingebrannt: Gedenken, in der Zukunft zu leben. Irgendwann. Ich bin ein Gegenwartsmensch. Eigentlich. Eigentlich auch nicht. Für gewöhnlich blicke ich gerne nach vorne und will nicht in der Vergangenheit hängen bleiben. Manchmal tue ich es doch. Hängenbleiben – dort, wo schon längst alles vorbei ist. Wo nur noch Erinnerungen existieren. Aber es ist eine Komfortzone; keine Ungewissheit. Die Zukunft hingegen ist ungewiss und genau das macht mir Angst. In mir sträubt sich etwas.
Weigert sich!
Prokrastiniert!
Ist stehen geblieben.

Mein Kopf fühlt sich leer an. Ich mache mir ständig Gedanken. Um alles und wieder um nichts. Die Gedanken um die Zukunft haben alles andere beiseite geschoben. Sie nehmen mich ein; umkreisen mich. Ich fühle mich nicht mehr inspiriert. Erlaube es mir nicht, an andere Dinge zu denken. Die Texte für meinen Blog gehen mir schwer von der Hand, obwohl ich (und das auch jetzt) nichts lieber tue, als das. Ich gehe mit Scheuklappen durch die Welt. Der Blick starr nach vorne gen Zukunft gerichtet, obwohl ich Angst davor habe. Ich sehe nicht mehr das, was ich sonst immer sehe. Dinge, die mich beflügeln und die ich in einem Bild für die Ewigkeit festhalten möchte. Es kommt mir fast so vor, als hätte ich diesen Blick verloren. Dabei sind das die Dinge, die ich liebe und immer noch liebe. Die ich gerne mache. Die mir Spaß machen. Die mir eine so unendlich Freude bereiten, dass ich diese Bereicherungen in meinem Leben nicht mehr missen möchte.

Licht und Schatten liegen oft nahe beieinander. Während mich mein Umfeld glücklich macht, mich das Bloggen trotz kleiner Schreib- und Ideenblockade nach wie vor unheimlich erfreut, bin ich in Gedanken momentan fast ausschließlich bei dem, was mich bald erwartet. In großen Schritten nähere ich mich dem Erwachsenwerden. Dem richtigen Erwachsenwerden. Nicht dem Erwachsenwerden auf dem Papier, denn das habe ich schon längst hinter mir. Mein Studium beschäftigt mich aktuell mehr als alles andere. Es ist bald vorbei. Nur noch wenige Seminare, die letzten drei lästigen Vorlesungsprüfungen und ein Praktikum muss ich noch hinter mich bringen. Dann ist es vorbei. Fast. Denn mein rotes Tuch, mein Dorn im Auge, steht mir auch noch bevor: Die Diplomarbeit. Und dieser Gedanke, dass ich mich bald darum kümmern muss, mir einen Betreuer und ein Thema suchen muss, bereitet mir große Ängste. Normalerweise bin ich ein Mensch, der genau weiß, was er will. Der Ziele hat. Ich wusste schon lange, in welchem Fach ich meine Arbeit schreibe und ungefähr welches Thema es sein soll. Warum ich mich jetzt davor ziere? Ich weiß es nicht. Ich würde es gerne wissen. Ich habe Angst davor, obwohl es nichts ist, wovor ich Angst haben müsste. Es ist der letzte Schritt und doch weigert sich in mir etwas, ihn zu gehen. Widersprüchlich ist, dass ich all meine anderen Studienkollegen beneide. All jene, die schon wissen, worüber sie schreiben sollen, die schon einen Betreuer haben und all jene, die bereits fertig oder am Fertigwerden sind. Schon lange nicht mehr habe ich mir derartige Gedanken um mein Studium und vor allem nicht um diese blöde Diplomarbeit gemacht. Weil ich mein Ziel klar vor Augen hatte. Weil ich wusste, was ich wollte. Doch diese Sicherheit verschwimmt langsam; ist nur noch ein vager Schatten seiner selbst. Ich frage mich selbst, woher das kommt und tief in meinem Inneren kenne ich die Antwort. Ich habe Angst vor dem, was mich erwartet und vor dem, was danach kommt. Weil ich nicht weiß, was danach kommen wird. Weil es auf einem Schlag vorbei ist und ich ein neues Segel setzen muss. Dabei fällt mir unweigerlich ein anderes Zitat ein:

 

Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance.

Victor Hugo

 

Über dieses Zitat von Hugo mache ich mir noch viel mehr Gedanken, als über die Sätze, die eins über Einsteins Lippen glitten. Ich will weder die Schwache, noch die Furchtsame sein. Natürlich habe ich Angst vor dem, was mich erwartet und ich fühle mich dadurch zunehmend wie ein kleiner Funken in den ewigen Weiten des Horizonts, aber ich weiß, dass ich genauso mutig sein kann. Darum versuche ich, das Zitat Hugos für mich umzuformulieren: Nur wer seine Schwächen eingesteht, ist mutig. Nur wer seine Furcht überwindet, ist mutig. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr wird mir klar: Wenn ich das tue, bin ich  die Mutige in Victor Hugos Zitat. Und dann wartet auch eine neue Chance auf mich! Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber ich werde es wissen. Immer dann, wenn die Zukunft Vergangenheit ist. 

 

Photocredits: unsplash.com

 

Comments

  • 26. April 2016

    Ein schöner Text, wirklich toll geschrieben 🙂
    Liebe Grüße, Natascha

  • 28. April 2016

    Hach, sehr schön geschrieben, Lisa! Das Bild gefällt mir auch total und die Zitate passen perfekt. Ich habe etwas Angst vor der Zukunft und lebe leider viel zu oft in der Vergangenheit.

    neri

  • 3. Mai 2016

    Liebe Lisa, ich glaube mit diesem Text sprichst du so vielen Studenten und jungen Menschen aus dem Gewissen, die kurz vor Abschluss ihres Studiums sind … kurz vor dem nächsten großen Schritt. Wunderschöner Text und ja, das Zitat von Victor Hugo spricht mich sehr an 🙂
    Liebe Grüße
    Hella von http://www.advance-your-style.de

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Est. 2012

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