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Lisa Reiter

  /  Personal   /  Personal Stories & Texts   /  Ich habe mich verändert. Wer bin ich wirklich?

 

Ein Moment! Ein Moment, der so bleiben kann. Sommer. Schlafen unterm Sternenhimmel. Wünsche. Unbeschwert im Sommerregen tanzen. Fröhlich sein. Glücklich! Einfach mal die Zeit anhalten. Locker sein. Spontanität! Mit dem Kopf durch die Wand. Blauäugig sein. Stur. Wutausbrüche. Lachkrämpfe. Pubertät. Das Leben genießen!
Laut!
Schweigsam!
Lachend!
Weinend!
Erwachsen werden! BÄNG! Veränderung!

Wenn mein altes Ich mein Leben und meine Persönlichkeit vor fünf Jahren beschreiben müsste:

Die Schule ist geschafft. Meine Matura mit gutem Erfolg bestanden. Ansehnliche Noten, Freunde, Partys! Die Welt steht mir offen. All die Jahre voller Enttäuschung, Liebeskummer, Trotzphasen und Stress vorbei. Gekämpft und gewonnen. Mit Bravour alle Ziele gemeistert. Es kann nicht mehr besser kommen. Die Zeit bleibt stehen. Meine Persönlichkeit ist aufgeblüht. Werde mich nicht mehr verändern. Der Selbstfindungsprozess abgeschlossen. Ich bin so, wie ich sein will. Erwachsen. Spindeldürr wie ein Solettistangerl. Vielleicht ein bisschen arrogant, doch herzlich zu meinen Freunden. Ich will mich nicht verändern. Will so bleiben. So wie es ist, so ist es perfekt.

Doch das Leben schreibt seine eigenen Geschichten. Wir haben keinen Einfluss auf das Drehbuch. Führen nicht selbst Regie. Das tut jemand anderes. Schicksal? Ich weiß es nicht. Plötzlich verläuft die Spur im Sand. Verweht im Wind. Emporsteigend am Horizont. Ein Sandsturm! Neue Ziele entstehen. Sind weit weg. Scheinen unerreichbar. Bedürfen Veränderungen.
Schleichend.
Plötzlich.
Unerwartet.
Und doch sind Veränderungen fortwährend.

Eines Tages wacht man auf und merkt, dass es nicht mehr so ist, wie es einmal war. Man ist nicht mehr der, der man war. Nur mal schnell die Pubertät überstehen, ist keine Selbstfindung. Persönlichkeit und Charakter sind nicht stagnierend. Studium. Neue Freunde und der Verlust von anderen. Verliebtsein. Große Dinge. Dinge, die zum Leben dazugehören. Dinge, bei denen ich nicht dachte, dass sie meine Persönlichkeit so verändern könnten. Dachte, niemand könnte mich mehr beeinflussen. Mich aus der Bahn werfen oder auf meinen Charakter einwirken.

Ich war naiv. So naiv. Mein Leben bestand aus Partys. Kein Wochenende ohne durchtanzte Nächte, schmerzende Füße und verschlafene Sonntage. Und heute sitze ich da. In meinem 13 Quadratmeter Zimmer. Vor mir ein Stapel Bücher. Das Feiern habe ich schon längst aufgegeben. Mein Handy vibriert. Es ist Freitagabend. Rechne fest mit einem lustigen Meme oder den neuesten Klatsch und Tratsch, aber nicht damit, dass ich auf eine Party gehen soll. „Wie spontan bist du?“, steht drin. Ich resigniere. Spontanität? Ein Fremdwort! Ich werfe einen kurzen Blick auf ein altes Foto, welches eingerahmt auf meiner Kommode steht. Alte Zeiten. Es war ein Party. Eine lustige Party – für die wir uns SPONTAN entschieden haben.
Wir tanzten im abgekühlten Sand.
Tranken pappig süße Softdrink-Wodkagemische.
Genossen die kaltgewordene Nacht.
Hörten das Meer tosen.
Sahen frierend der Sonne beim Aufgehen zu.

Eine Standparty, irgendwo in der Türkei auf der Maturareise. Zu der Zeit, als ich mich beflügelt fühlte. Als ich dachte, zu mir selbst gefunden zu haben. Sieben Tage Party Nonstop. Mein persönliches Traumland. Heute wohl eher ein Albtraum. Feiern gehen? Ich? Nein, das bin ich nicht mehr. Ab und zu ist ganz nett, aber dann brauche ich meine Ruhe. Drei Monate. Mindestens.

Ich druckse herum. Weiß nicht so recht, was ich antworten soll. Ich würde mich lieber um meine Verpflichtungen kümmern. Um das, was ich tun muss, um meine Ziele zu erreichen. Treffen mit Freunden? Das verschiebe ich auf später! Sie werden es schon verstehen. Zücke mein Handy. Antworte. „Ich kann leider nicht. Sorry!“ Als hätte ich es nicht geahnt, kommt binnen 30 Sekunden ein „Warum?“ zurück.

Ich denke nach. Uni. Blogposts vorbereiten. Rechnungen ausdrucken und sortieren. All das hat Vorrang. „Das kannst du doch morgen machen.“ Kann ich. Will ich aber nicht. Life is NOT a party! Ich habe mich verändert. Schon wieder. Bin langweilig geworden. Andere Dinge sind wichtiger. Entspannung finde ich nicht mehr bei Cocktailabende. Ich sitze lieber mit einem Glas Wein oder einem Sommercocktail in der Laube. Schreibe meine Texte. ALLEIN und WENN ich mir Freizeit überhaupt zugestehe. Früher hätte ich nicht acht Stunden vor meinen Büchern verbracht. Früher.

Mein Handy klingelt. Ich gehe ran. Verbal ist alles einfacher zu klären. Verbal kann man mich einfacher überreden. Das denken auch meine Freunde. Doch das war früher so. Heute nicht mehr. Ich habe mich verändert. Auf mich wird eingeredet. Druckse wieder herum. „Du bist langweilig geworden.“ Ich weiß. Ich weiß. Ich weiß!!! Ich habe mich verändert.
Stille!
Seufzen!
Jammern und betteln!
Ich würge ab und lege auf.

Kurze halte ich inne. Ganz, ganz kurz. Durchatmen. Ehe ich mich wieder meinem dicken Stapel Bücher widme. In mir rattert es. Wieder schweift mein Blick zurück zu dem Bild. Wie würde die alte Lisa die Neue beschreiben? Ich glaube, sie würde folgendes sagen: Spießig. Uralte Oma. Langweilig! Sie ist genau der Mensch, der ich nie sein wollte. Keine Partys. Zugenommen. Streber.

Es macht mir nichts aus, wenn die alte Lisa das von mir denken würde. Ich habe neue Ziele. Ziele, die sie nicht verstehen könnte. Habe mich in den letzten fünf Jahren laufend verändert. Jeder erneute Rückfall in die Anorexie hat mich verändert. Jede Gewichtszunahme hat mich verändert. Jeder Schicksalsschlag. Jede neue Freundschaft. Jeder Schritt, der mich meinem Ziel näher bringt. Doch irgendwie, vielleicht nur ein bisschen, vermisse ich die unbeschwerte Zeit. Die sozialen Kontakte. Die Balance, die ich in meinem Leben hatte. Als ich Schule, Freunde und Arbeit noch unter einen Hut gebracht habe.

Die Decke fällt mir auf dem Kopf. Ich musste mich verändern. Laufend. Erwachsen geworden zu sein, ist kein Abschluss. Habe mich selbst in eine Rolle gedrängt. Zu wenig zwischenmenschlicher Umgang. Bin weitergewandert und habe irgendwann alle abgehängt. Mir wird klar, ich muss mich wieder verändern. Ein Mittelmaß finden. Die Mauer durchbrechen. Ich bin kein Einsiedler! Wer bin ich wirklich? Nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Aber wenn ich aus all dem einmal flüchte und die Balance finde, habe ich womöglich wirklich die Chance, zu mir selbst zu finden.

 

verändertDress

 

 Dress by Orsay*

 

 

Comments

  • 3. August 2016

    Sooo ein toller Post. Mir geht’s ziemlich ähnlich – auf der Maturareise war ich super happy über 7 Tage feiern. Heute würde ich dort wahrscheinlich sterben. Das bin ich nicht mehr. Ich finde es gut sich zu verändern. Wäre doch seltsam wenn man mit 20 immer noch gleich denkt/fühlt/handelt als mit 15.

    Love, Kerstin
    http://www.missgetaway.com/

  • 3. August 2016

    Ich kann das so gut nachvollziehen was du berichtest!

  • 3. August 2016

    Wow,… dass du das in Worte fassen kannst, beeindruckt mich.

    Ich glaube, mir geht es gerade sogar ähnlich – auch wenn ich ja noch etwas jünger bin. Partys sind auch nichts mehr für mich, abends weg gehen ist selten, Freunde sehe ich nicht oft. Freie Zeit nutze ich für Sport (allein), Blogposts (allein) und inzwischen auch für meine Wohnung (allein)…
    Allerdings will ich nette Menschen nicht verlieren und daher versuche ich gerade, mir öfter mal einen Tritt in den Hintern zu geben und Treffen zu initiieren. Denn mich fragt selten jemand…

    Liebe Grüße

  • 3. August 2016

    Oh Lisa Liebes, Du sprichst mir aus der Seele. Ich habe mich die letzten Monate ähnlich gefühlt, habe versucht herauszufinden wer ich bin. Und wer nicht. Habe versucht mich irgendwo reinzudrängen, wo es nicht passt, zu mögen, was ich nicht mag und zu sein wer ich nicht bin. Und weißt Du was, mir ist plötzlich das Licht aufgegangen, ich kann weiter traurig sein und wahllos herumirren oder endlich wieder meine Augen öffnen und die positiven Dinge in mein Leben ziehen zu lassen. Mein wahres ich hereinlassen und irgendwo auf dem Weg zwischen Ernst und Spaß, den perfekten Weg für mich zu finden. Ich mache mir keine Gedanken mehr darum, etwas zu verpassen, oder zu wenig auf etwas fokussiert zu sein. Ich mache nichts mehr weil ich muss/ oder innerlich gezwungen werde. Sondern nur noch was ich will. Nunja, die wenigen Erwachsenen Dinge, die erledigt werden müssen, erledige ich natürlich trotzdem pünktlich 🙂 Aber ich habe aufgehört mich zu stressen und in eine Ecke zu drängen.

    Bisous aus Berlin, deine Patricia
    THEVOGUEVOYAGE by Patricia Petite

  • 6. August 2016

    Ich kann mich in Deinem Text auch so wieder erkennen. Wenn ich an damals denke und mich dann heute reflektiere, hat sich wirklich einiges geändert. Ich denke, vor allem zum Positiven. Gerade was mein Selbstbewusstsein angeht, hat sich Einiges getan. Worüber ich sehr dankbar bin. Früher war ich eher schüchtern und habe mir wenig zugetraut. Mittlerweile bin ich ein offener und direkter Mensch und stehe mit beiden Beinen im Leben. Das hast Du wirklich so schön geschrieben.

    Neri

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Est. 2012

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