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Lisa Reiter

  /  Destinations   /  Austria   /  1 Jahr Graz: Das ist Heimat für mich

Der Begriff „Heimat“ hatte schon immer eine ganz spezielle Bedeutung für mich. Und es ist ein Begriff, mit dem ich mich schon sehr lange auseinandersetze. Heimat war für mich nicht immer gleich Heimat. Heimat hat auch nicht immer nur ausschließlich einen geographischen Bezug, selbst wenn man es im Grunde genommen ausschließlich damit asoziiert. Mit den Jahren habe ich nämlich für mich gemerkt, dass Heimat ein wesentlich größeres Spektrum an Bedeutung für mich beinhaltet. 

Heimat ist zum Beispiel der Ort, an dem ich mich angekommen fühle. Es ist der Ort, wo ich mich aufgenommen fühle. Wo ich eine Verbundenheit spüre. Und genau dieses „Thing“ habe ich mit Graz, bevor ich überhaupt in die Stadt gezogen bin. Schon während dem Studium wusste ich, dass ich eines Tages in dieser Stadt leben möchte. Unabhängig davon für wie lange. Inzwischen wohne ich nun seit einem Jahr hier. In diesem Jahr hat sich mein Blickwinkel ein bisschen verändert. Ich habe die rosarote Brille abgesetzt und betrachte Graz nun mit anderen Augen, als früher. Die Verliebtheit ist geblieben, aber wie es in jeder Beziehung irgendwann der Fall ist, sieht man nicht nur immer die schönen Seiten. Ganz im Gegenteil. Mein Umzug und das Leben in der Stadt haben meine Augen wieder ein Stückchen weit geöffnet. In jeder Beziehung entdeckt man eines Tages plötzlich Dinge, die man nicht so toll findet. Die einem vielleicht sogar stören. Aber wenn die Liebe echt ist, kann man auch darüber getrost hinwegsehen bzw. lernt, damit umzugehen. 

Meine Heimat Graz
Graz meine Heimat

Dorfkind oder Stadtkind?

Definitiv war nicht alles so wunderschön und eitler Sonnenschein, seit ich hier in Graz lebe. Es gab viele durchwachsene Momente. Manchmal habe ich mich richtig einsam gefühlt. Und dann irgendwann habe ich gelernt, mit mir alleine zurechtzukommen. Habe gelernt, alleine zu sein, ohne einsam sein zu müssen. Und manchmal wollte ich einfach weg. Manchmal wollte ich zurück in mein altes Zuhause. Zurück aufs Land. Weil ich die Natur vermisst habe und doch mehr Dorfkind in mir steckt, als Stadtkind. 

Und dann liebte ich wieder die Freiheit in der City. Die Freiheit, spontan auf einen Drink mit Freunden zu gehen, ohne vorher eine Stunde mit dem Bus fahren zu müssen. Die Freiheit, alles in der Nähe zu haben. Ich liebte es, hier kein Dorfkind zu sein. Ich liebte es, ein Citygirl zu sein. Genauso wie die Distanz zum Land. Eines kann ich auf jeden Fall verraten: es hat länger gedauert, mich einzuleben, als ich dachte. Bereut habe ich es jedoch von Anfang an nie. 

What I said:

"Mehr als drei Monate sind seit meinem Umzug vergangen. Ich habe mir ein vollkommen eigenes Leben aufgebaut und jetzt ist es an der Zeit, mehr darüber zu sagen. Irgendwie ist mir vor meinem Umzug alles zu viel geworden. Ich habe Dinge erlebt, die mich völlig aus der Bahn geworfen haben und sie doch hinter einem Lächeln versteckt. Wenn du wieder lernen musst, neu zu vertrauen, musst du einen Weg finden, wie du das irgendwann wieder schaffen kannst. Ich wusste, was mir dabei helfen würde: alleine zu sein. Alleine zu sein bedeutet nicht, einsam zu sein. Alleine sein zu können bedeutet, dass du irgendwann mit dir selbst zurechtkommst. Dass du von niemanden abhängig bist, dass du auch mit dem Verlassen werden zurechtkommst, dass du dich abgrenzen und eine Weile alleine sein kannst. Ich musste in erster Linie mit mir selbst zurechtkommen Wieder die Liebe zu mir selbst entdecken und mir meinen Wert für mich selbst zurück erkämpfen. Dazu musste ich weg. In eine andere Stadt. In eine eigene Wohnung. Alleine. Alleine einen Neuanfang wagen, aber immer mit dem Wissen, dass ich auf viel Unterstützung zählen kann. Und es hat sich gelohnt. Es hat mir gut getan. Ich habe in Graz ein wunderbares Umfeld, schon etliche neue Leute kennengelernt und ich blühe gerade auf. Ich bin ständig unterwegs, viel in der Stadt und ich lerne mein neues Zuhause kennen. Gemeinsam und alleine. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung mit dem "alleine leben" mache, denn genau das hat mir geholfen, mich nicht mehr einsam und verloren zu fühlen."
Instagram Posting
3. Januar 2019
Heimat in Graz

Flucht aus der Heimat in die Heimat

Graz war mit Sicherheit eine Art Flucht für mich. Zu dem Zeitpunkt kämpfte ich mit mir selbst. Haderte ein bisschen. Zuvor habe ich so viel erlebt, mit dem ich erst einmal umgehen musste. Zuhause wurde mir alles zu viel. Dabei lag es gar nicht einmal an meiner Heimatstadt per se, dass ich weg musste. Aber ich merkte, dass ich neu starten wollte. Nein, musste! Ganz von vorne. Wer mich schon länger verfolgt, der weiß, dass ich in den letzten Jahren mehrere Neuanfänge durchlebt habe bzw. dass viele Kapitel geendet haben und neue Seiten zu schreiben begonnen wurden. Dabei waren viele alte Kapitel noch nicht zu Ende geschrieben. Vielleicht, weil ich nicht die richtigen Worte fand. Vielleicht weil ich mich an Dinge festgehalten habe, die unaufhaltsam dabei waren, sich so oder so aufzulösen. Es lag nicht in meiner Hand und doch krallte ich mich fest. Und da tat es doppelt so weh, dass all das nicht für die Ewigkeit war. Vielleicht wollte ich auch daran festhalten. Wollte nich, dass es endet. 

Diesmal jedoch wollte ich wirklich meine „tabula rasa“ haben. Mein leeres Blatt Papier. Eine ungeschriebene Geschichte. Eine neue Geschichte, die sich entwickelt, ohne die Vorgeschichte mit einfließen zu lassen. Oder so wenig wie möglich. Und ich musste weg. Ich war inmitten meiner Recovery, kämpfte ein bisschen mit Liebeskummer und ja, ich wollte gewisse Distanzen vergrößern. Ich liebte meine Familie, doch ich wusste auch, dass ich genug davon hatte, sie 24/7 um mich zu haben. Ich musste einen klaren Kopf bekommen. Mich von Anorexia lösen. Mich von dem Menschen lösen, der diesen Liebeskummer verursacht hat. Und mich auch von meiner Familie lösen. Zumindest räumlich. Die Zeit war gekommen, um endgültig zu lernen, alleine zurechtzukommen.

 

Ein Jahr später

Ein Jahr ist eine tolle Zeitspanne, um zu resümieren. Gerade nach einem Umzug braucht man immer ein bisschen Zeit, aber ich konnte schon ein kleines Fazit ziehen. Auch wenn sich das immer wieder verändern kann.

Ich bin froh, dass ich mich damals wirklich dazu entschieden habe, Nägel mit Köpfen zu machen, um nach Graz zu ziehen. Dass ich das getan habe, was ich im Grunde genommen schon immer tun wollte. 

Die Umstellung auf dieses neue Leben fiel mir am Anfang leicht, doch später etwas schwer. Der Umzug war teilweise echt anstrengend und frustrierend. Um ehrlich zu sein: er ist immer noch nicht ganz abgeschlossen. Hier und da fehlen immer noch ein paar Sachen in der Wohnung. Und dann habe ich mich auf einmal ganz fremd in meiner Wohnung gefühlt. Es hat etwas gedauert, bis Casa Lillywood wirklich ein Zuhause für mich wurde. Doch Graz war es schon längst. Auch wenn bestimmt nicht alles meinen Vorstellungen entsprechend gelaufen ist. 

In dieser Zeit habe ich eine extreme Entwicklung durchgemacht. Ich habe eine neue Bedeutung von Heimat kennengelernt und verinnerlicht. Während ich früher aus meiner alten Heimat einfach nur weg wollte, um das alte Leben hinter mir zu lassen, nutze ich heute jede Gelegenheit, um in meine ursprüngliche Heimatstadt zu fahren. 

Dadurch dass ich mich lösen konnte, wurde meine Heimatverbundenheit wieder stärker. Nicht zu Graz, denn die ist im Grunde genommen gleich stark geblieben. Jedoch zu meiner Heimatstadt. Zwar kann ich mir in den kommenden Jahren eine Rückkehr nicht vorstellen, aber ich bin froh, dass ich diese Verbundenheit wiederentdeckt habe. Generell zu ganz Österreich. Graz ist nicht mehr der ultimative Place to be für mich, obwohl es der Place ist, an dem ich am liebsten bin. 

Heimat in Graz

Die neue Bedeutung von Heimat

Die neue Bedeutung von Heimat ist für mich vor allem die: an einem Ort zu sein, an dem man sich von Dingen lösen kann, die einem nicht gut tun. Flucht bringt sich da gar nicht so viel. Ich habe meine Familie innerhalb kürzester Zeit vermisst. Meine Essstörung drohte auszuarten. Die Gefahr, sie nun plötzlich voll und ganz auszuleben, jetzt wo ich alleine war, war riesengroß. Und die Gefühle für diese eine Person lösten sich auch nicht sofort in Luft auf, nur weil uns jetzt wesentlich mehr Kilometer trennten. Aber durch meine Liebe zu Graz schaffte ich es, durchzuhalten. Mich von meiner Familie nicht zu lösen, aber mich komplett abzunabeln. Anorexia Geschichte sein zu lassen, genauso wie diese eine Person. Letzteres hat bestimmt am längsten gedauert. Aber erst, als ich wirklich loslassen konnte, konnte ich zu der Heimatverbundenheit meiner neuen Heimat richtig hineinfinden. 

Ich habe gelernt, dass es okay ist, auch einmal wegzuwollen und auch wegzugehen, wenn es zu viel wird. Irgendwann hat man wieder einen klaren Kopf und kehrt nach wenigen Tagen gerne zurück. Ich fühle mich zu Graz verbunden. Wohl das größte Zeichen meiner Heimatverbundenheit und wohl auch die wichtigste Bedeutung dafür. 

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Est. 2012

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