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Lisa Reiter

  /  Personal   /  Personal Stories & Texts   /  Wenn man als Frau nicht ernstgenommen wird

Juli 2016. Entschlossen stehe ich vor dem Büro meines Uniprofessors. Lange habe ich mir Gedanken gemacht, zu welchem Thema ich eine Diplomarbeit schreiben möchte. Herausfordern sollte es ein. Mein Abgang an der Uni eine kleine wissenschaftliche Glanzleistung. Zu meiner Entschlossenheit gesellt sich dennoch Zweifel. Unsicherheit. Bin ich dem gewachsen? Ja, das bin ich, rede ich mir ein. Ich schaffe das! Tatsächlich konnte ich meinen Professor von mir überzeugen, auch wenn er überrascht war. Die erste Lehramtsstudentin sei ich, die er betreut. Normalerweise kommen nur StudentInnen, die ausschließlich Geographie studieren. Aber er will mir eine Chance geben. Er hat Vertrauen in mich. Anders sieht es bei meinen Studienkollegen aus. Wegen meinem Thema erntete ich oft skeptische Blicke. Eine Frau? Physiogeographie. Eigene Forschung? Empirie? Als Lehramtlerin? Seltsam. Aber ich habe allen bewiesen, was in mir steckt. 

Hilfe, ich werde nicht ernstgenommen

Solche Situationen habe ich oft in meinem Leben erfahren. Ich kenne das Gefühl, wenn mir nichts zugetraut wird oder Menschen kein Vertrauen in meine Fähigkeiten haben. Ich bin schließlich eine Frau. Was habe ich schon in der Wissenschaft zu suchen? Intelligent muss ich sein, aber die Rolle des Science Nerd ist vollkommen unangebracht. Vielleicht auch wegen meiner äußeren Erscheinung. Oder aufgrund meines Charakters. 

Gerade in Unizeiten machte ich mich durch meine Optik zu einem „typischen Mädchen“. Im ersten Semester trug ich pinke Hosen, weil es in war. Manchmal kam ich mit Röcken, Shorts und ich war eigentlich immer geschminkt. In Kombination mit meinen hellblonden Haaren katapultierte ich mich selbst in die Schublade „Püppchen“. Jedoch leben wir im 21. Jahrhundert. Unsere äußere Erscheinung hat rein gar nichts mit dem zu tun, was in uns steckt. 

Einfach soll ich es mir machen. Immer wieder. Ich hingegen wollte das nie! Und dabei wurde ich nicht nur von männlichen Studienkollegen nicht ernstgenommen. Oh nein, wir Frauen nehmen uns untereinander auch oft nicht ernst. Warum? Warum machen wir es uns gegenseitig so schwer, anstatt uns zu unterstützen? Ich wurde auch von weiblichen universitären Mitarbeiterinnen nicht ernst genommen. Bei meiner Immatrikulation fand ich die Studienabteilung nicht. Als ich nachfragte, wurde ich von der Frau von oben bis unten gemustert. Ihre Stimme klang abschätzig. Dabei wollte ich nur nach dem Raum fragen. Dass ich erst vor zwei Monaten meine Matura mit einem Schnitt von 1,5 bestand, sah man mir nicht an. 

Auch in der Schule wurde ich von einigen Lehrerinnen nicht ernstgenommen – in einer Schule mit einem Mädchenanteil von 98%. Meine Biolehrerin belächelte meine gefährdete Versetzung, weil ich in ihrem Fach nicht sonderlich gut war. Beim Biotest am nächsten Tag zeigte ich ihr, was in mir steckte und schrieb eine 1. 

Ich habe es verdient, ernstgenommen zu werden, denn ich kann mehr, als es den Anschein macht. Außer seitlich einparken – das kann ich nicht wirklich gut. Selbst dafür habe ich das eine oder andere mal sexistische Kommentare von Männern bekommen. 

 

Weltfrauentag
Weltfrauentag

"Du bist halt eine Frau"

Mein Geschlecht ist kein Freifahrtschein, mich minderwertiger zu behandeln oder mich nicht ernst zu nehmen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es auch im Jahr 2020 Männer zum Anlass nehmen, das zu glauben. Ich mag es nicht, wenn ich in der Bim oder im Bus anzügliche Kommentare bekomme, nur weil ich einen kurzen Rock trage. Oder ständig Hup- und Pfeifgeräusche auf der Straße höre, wenn ich mich aufgebrezelt habe. Ich habe es satt, dass sich Männer das Recht herausnehmen, mich „Spatzi“ „Puppi“ oder „Mäuschen“ zu nennen. JA, das kommt vor. Immer noch, obwohl ich keine 5 mehr bin. Aber es kommt seltener vor, als früher. 

Die Hochsaison dieser unangenehmen Kosenamen war, als ich neben dem Studium kellnerte. Da nahmen sich Männer viele Rechte heraus, indem sie mir beispielsweise während des Abendbetriebs bei Full House unter den Rock griffen. Sie dachten wirklich, sie dürften das. Weil „du bist halt eine Frau und trägst einen Rock.“ Sie haben mich nicht ernstgenommen. Was erwartet man sonst noch von mir? Dass ich mit Schürze vor dem Herd stehe, Frankfurter siede und Bier zapffrisch direkt an die Couch liefere? 

Weltfrauentag
Weltfrauentag

In Zeiten des Umdenkens - nicht nur am Weltfrauentag

Ich weiß, wie es ist, nicht ernstgenommen zu werden und merke es, wenn es aufgrund meines Geschlechts ist. Am Weltfrauentag möchte ich nochmal ins Gedächtnis rufen, dass es jede Frau verdient, ernstgenommen zu werden. JEDE! Ihre persönliche Geschichte spielt dabei keine Rolle. Aber ich merke auch, dass wir uns in einer Zeit des Umdenkens befinden. Dass sich Frauen inzwischen selbst mehr zutrauen und es ihnen leichter fällt, auch andere Frauen ernst zu nehmen. Und dass Männer Frauen auch wesentlich mehr zutrauen. Dass viele nicht mehr erwarten, dass ihnen die Frau das Steak zum Abendessen brät, sondern eine starke, durchsetzungsfähige Frau an ihrer Seite haben wollen. 

Frauen sind keine Püppchen. Egal, wie sie sich anziehen, geben oder welche Werte sie vertreten. Und verdammt nochmal: es gibt einen Grund, warum wir es verdient haben, ernstgenommen zu werden. WEIL WIR ES DRAUF HABEN! 

Schaut bei Laxobublog vorbei – sie hat mich gefragt, ob ich einen Beitrag zu diesem Thema schreiben möchte und stellt am 08.03.2020 weitere Frauen vor, die über den Weltfrauentag geschrieben haben.

Comments

  • Bernadette
    8. März 2020

    toller beitrag, lisa! danke dir für deine offenen worte zu diesem so wichtigen thema. gerade wir frauen sollten uns gegenseitig empowern und ich finde es immer wieder bestärkend zu sehen wie du und deine blogger-kolleginnen euch gegenseitig unterstützt! (und ich gender jetzt absichtlich nicht ;-)) macht weiter so und verfolgt eure träume und ziele!

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Est. 2012

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